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Art. 226 Abs. 4 lit. c, 227 Abs. 5 und 237 Abs. 1 StPO (Anordnung von Ersatzmassnahmen anstelle der Untersu­ chungshaft): Das Zwangsmassnahmengericht kann keine Untersuchungshaft anordnen, wenn die Staatsanwaltschaft lediglich Ersatzmassnahmen beantragt hat. 41 Art. 241 Abs. 4 StPO (Sicherheitsdurchsuchung): Ge­ stützt auf Art. 241 Abs. 4 StPO kann die Polizei eine ange­ haltene oder festgenommene Person durchsuchen, insbeson­ dere um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. Eine Durchsuchung kann selbst dann erfolgen, wenn sich die angehaltene Person freiwillig auf den Polizeiposten begeben hat, keines Delikts verdächtigt wird und sich über ihre Identität ausgewiesen hat. 42 Art. 248 StPO (Fernmeldeüberwachung oder Siege­ lung?): Wenn Handys und Smartphones physisch be­ schlagnahmt oder vorläufig sichergestellt werden und die Staatsanwaltschaft die gespeicherten Daten auswerten will (Kontaktnummern, Verbindungsdaten, vom Empfänger ab­ gerufene SMSund InternetKorrespondenz usw.), liegt nach der Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich keine Fernmeldeüberwachung 43 vor und auch keine rückwirkende Randdatenerhebung. 44 Der Rechtsschutz läuft hier in der Weise, dass die betroffene Person die Siegelung 45 des edier­ ten oder sichergestellten Gerätes verlangen kann (wie z. B. bei PCs, Notebooks, Servern usw.). Die Staatsanwaltschaft, welche die elektronischen Aufzeichnungen durchsuchen will, muss dann beim Zwangsmassnahmengericht ein Ent­ siegelungsgesuch stellen. 46 Anders ist die Rechtslage, wenn keine Geräte physisch sichergestellt und ausgewertet (und keine gespeicherten Nachrichten nach dem Kommunika­ tionsvorgang ediert und gesichtet) werden, sondern wenn die Staatsanwaltschaft EMails und SMS geheim abfangen bzw. «aktiv», noch während des Kommunikationsvorgangs, beim Provider edieren lässt. Solange die betreffenden Nach­ richten vom Empfänger noch nicht auf dem Gerät abgeru­ fen worden sind, liegt in diesen Fällen grundsätzlich eine Fernmeldeüberwachung vor 47 . 48 Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 197 Abs. 2, 269, 270 lit. b, 273 und Art. 274 Abs. 1 lit. b StPO (Rückwirkende Randdaten­ erhebung betreffend den Mobiltelefonanschluss eines Privatklägers; Unterscheidung zwischen der inhaltlichen Überwachung des Fernmeldeverkehrs, der aktiven Erhe­

tracht, da die Gutheissung der Beschwerde nicht sofort ei­ nen Endentscheid herbeiführen würde. Im Strafrecht muss es sich beim nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen spä­ teren Endoder anderen Entscheid nicht mehr behoben wer­ den kann. 33 Der alleinige Umstand, dass ein Beweismittel, dessen Verwertbarkeit der Beschwerdeführer bestreitet, in den Akten bleibt, stellt grundsätzlich keinen Nachteil recht­ licher Natur dar, da der Beschwerdeführer seinen Einwand bis zum Abschluss des Strafverfahrens erneut vorbringen kann. Er kann die Frage der Verwertbarkeit des Beweismit­ tels namentlich dem Sachrichter unterbreiten. 34 Von diesem kann erwartet werden, dass er in der Lage ist, die unzuläs­ sigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Der Betroffene kann das Urteil des Sachrichters in der Folge mit Berufung anfechten 35 und die Angelegenheit schliesslich an das Bundesgericht weiterziehen. 36 Von dieser Regel be­ stehen jedoch Ausnahmen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht. 37 Ebenso verhält es sich, wenn aufgrund des Ge­ setzes oder der Umstände des Einzelfalls die Rechtswidrig­ keit des Beweismittels ohne Weiteres feststeht. Derartige Umstände können nur angenommen werden, wenn der Be­ troffene ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes In­ teresse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwert­ barkeit des Beweises geltend macht 38 . 39 Art. 31, 141 Abs. 2 und 3 und 216 Abs. 1 StPO (Ver­ wertbarkeit einer von der örtlich nicht zuständigen Kan­ tonspolizei angeordneten Blutprobe; Nacheile): Die Zustän­ digkeitsordnung dient der Wahrung der Souveränität des Kantons bei der Organisation der polizeilichen Aufgaben. Ihrer Missachtung kommt gegenüber der Durchsetzung des Strafverfolgungsinteresses ein geringeres Gewicht zu. Die Kontrolle eines Fahrzeuglenkers auf seine Fahrfähigkeit dient der Verkehrssicherheit. Bei ihr besteht als unaufschieb­ bare Massnahme – namentlich im Grenzgebiet zweier Kan­ tone – stets eine gewisse Dringlichkeit. Der Anhaltung und Kontrolle des Fahrzeuglenkers durch die unzuständige Po­ lizei kommt lediglich die Bedeutung der Verletzung einer blossen Ordnungsvorschrift zu. 40 33 BGE 137 IV 172 E. 2.1 S. 173 f. 34 Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO. 35 Art. 398 StPO. 36 BGE 141 IV 284, E. 2.2, 287, 289; E. 1.2, 291 f. 37 Vgl. z.B. Art. 248, Art. 271 Abs. 3, Art. 277 und Art. 289 Abs. 6 StPO. 38 BGE 141 IV 284, E. 2.3, 287, 289, E. 1.3, 292. 39 Urteil 1B_76/2016 v. 30.3.2016. 40 BGE 142 IV 23.

41 BGE 142 IV 29. 42 BGE 142 IV 129. 43 Art. 269 StPO. 44 Art. 273 StPO. 45 Art. 248 StPO.

46 Vgl. Urteile des Bundesgerichtes 1B_52/2015 v. 24.8.2015, E. 1.2; 1B_131/2015 v. 30.7.2015, E. 1.2; s.a. 1B_432/2013 v. 17.2.2013. 47 BGE 140 IV 181; vgl. zu dieser Praxis Forster, Marksteine der Bundesgerichtspraxis zur strafprozessualen Überwachung des digi­ talen Fernmeldeverkehrs, in: Gschwend/Hettich/MüllerChen/ Schindler/Wildhaber [Hrsg.], Festgabe zum Schweizerischen Ju­ ristentag 2015 in St.Gallen, Zürich 2015, S. 615 ff., 623–625. 48 Urteil 1B_347/2105 v. 29.3.2016.

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