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AUFSÄTZE 343
Gabriele Berger, lic. iur., RA, MAS Forensics, Chefin Spezialfahndung, Kantonspolizei Bern
Zusammenarbeit von Polizei und Staats anwaltschaft im Schnittbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 1
Inhaltsübersicht:
Staatsanwaltschaft die Polizei verbindlich anweisen, eine Öffentlichkeitsfahndung auszulösen, wenn die Polizei im konkreten Fall aufgrund einer gesamtheitlichen Lagebeur teilung andere Massnahmen für die rasche Rettung des Kindes für zweckmässiger hält? Welches Recht gilt für polizeiliche Massnahmen, welche gleichzeitig Gefahren abwehr und Strafverfolgung bezwecken? Unbesehen der konkreten Fragen ist in Fällen, in denen gleichzeitig eine Gefahrensituation besteht und ein Verdacht auf eine Straftat vorliegt, eine allgemeine, diffuse Unsicher heit bezüglich Zuständigkeiten und Rollen festzustellen, sowohl auf Seite der Polizei wie auch bei der Staatsanwalt schaft. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, was im Schnittbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gilt. Der Fokus liegt dabei auf den für die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft relevanten Fragen, wie die jeweiligen Zuständigkeiten und der Umfang des staats anwaltschaftlichen Weisungsrechts. Denn die Erfahrung zeigt es immer wieder: Die Kenntnis der Zuständigkeiten der involvierten Personen und Behörden sowie ein gemein sames Rollenverständnis sind für das Gelingen der Zusam menarbeit zentral. Einleitend werden die problematischen Fallkonstellationen kurz dargelegt und die möglichen Gründe für die Unsicher heiten bei der Zusammenarbeit aufgezeigt. Gemengelagen Die Klärung eines strafprozessualen Tatverdachtes ist Straf verfolgung; die Abwehr einer Gefahr oder die Beseitigung einer Störung ist Gefahrenabwehr. Was in der Theorie so einfach tönt, ist in der Praxis oft schwierig, weil in vielen Ereignissen sowohl eine Gefahr abzuwehren als auch ein Tatverdacht zu klären ist. 2 Solche Lebenssachverhalte wer 1. II. Überlagerung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
I. Problemstellung II. Überlagerung von Gefahrenabwehr und Straf verfolgung 1. Gemengelagen 2. Zuständigkeiten in Gemengelagen und dies bezügliche Unsicherheiten III. Was gilt im Schnittbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung? 1. Anwendbares Recht in Gemengelagen a) Verfassung und Gesetz b) Rechtsprechung und Doktrin c) Würdigung aa) Was gilt im Falle einer Aufgabenkollision von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung? bb) Wem kommt die Entscheidkompetenz für die Güterund Interessenabwägung zu? 2. Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft 3. Zwangsmassnahmen in Gemengelagen 4. Verwertbarkeit von Erkenntnissen und Beweisen im Strafverfahren
IV. Weitere Aspekte
I.
Problemstellung
In der Praxis stellen sich im Zusammenhang mit Entfüh rungen, Drohungen oder Erpressungen immer wieder Fra gen zum Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafver fahren bzw. zu den Verantwortungsbereichen von Polizei und Staatsanwaltschaft: Wer ist bei einer Drohung oder Erpressung verantwortlich für die Beurteilung, ob Personen in Gefahr bzw. Schutzmassnahmen nötig sind? Wie weit reicht das Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft in solchen Lagen? Könnte z. B. im Fall einer Kindesentführung die
1 Vorliegender Beitrag basiert auf der Masterarbeit gleichen Titels, wel che von der Autorin im Rahmen des Nachdiplomstudiums MAS Fo rensics 5 an der Universität Luzern verfasst worden ist, abrufbar un ter: www.unilu.ch/weiterbildung/rf/masforensics/masterarbeiten masforensics5/.
2 Vgl. Pfander, Garantie innerer Sicherheit, Basel 1991, 96; Rein hard, Allgemeines Polizeirecht, Bern/Stuttgart/Wien 1993, 132 f.
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