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JURISPRUDENCE

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Gedanke insoweit, als dass er sich nicht auf irgendwelche – zivilrechtlichen – Ansprüche bezieht, sondern tatsächlich nur die, welche ihre Ursache in der klägerseitig unterstell­ ten, zur Anklage gebrachten Straftat haben. Zu ergänzen ist: Schon aufgrund der Parteirollen kann es sich nur um Ansprüche gegenüber dem Angeklagten bzw. Täter handeln und nicht um solche, die gegenüber Dritten bestehen. Aus dem Zusammenspiel der Art. 115, 119 und 122 ff. StPO lässt sich gar nichts Anderes ableiten, als dass es nur um Ansprüche im direkten Verhältnis von Täter und Opfer, Angeklagtem und Geschädigtem gehen kann. 7. Mithin ist festzuhalten: Im Strafprozess ist über alle Zivilansprüche zu entscheiden, die sich aus der vom Gericht zu beurteilenden Straftat im Verhältnis von Geschädigtem und Täter ergeben und die der Geschädigte im Verfahren auch geltend macht; der zivilprozessualen Dispositionsma­ xime entsprechen die Vorschriften von Art. 115 und 119 StPO – der Geschädigte muss Anträge stellen, und nur über gestellte Anträge kann der Strafrichter auch als Zivilrichter entscheiden. III. 8. Das Obergericht steht vor dem Problem, dass es ei­ nerseits die Ansprüche, die adhäsionsweise geltend gemacht werden können, an die Straftat bindet, und zugleich – ge­ wiss logisch – einen Freispruch als das Gegenteil einer Straf­ tat betrachtet, somit der Adhäsionsklage die Grundlage ent­ zogen sieht. Es bemüht sich, die einschlägigen Regelungen der StPO einzig vor dem Hintergrund einer strafrechtlichen Verurteilung zu lesen. Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber allerdings positivrechtlich zerstört. Er sagt nämlich, dass auch bei Freispruch über den Zivilanspruch zu entscheiden ist. Die StPO hat, in dieser Hinsicht wohl auch lückenlos, beide Möglichkeiten geregelt, nämlich den Fall des Schuld­ spruchs in Art. 126 Abs. 1 lit. a., und den Fall des Frei­ spruchs in Art. 126 Abs. 1 lit. b. Und sie hat beim Freispruch gerade nicht angeordnet, dass dann der Zivilanspruch auf den Zivilweg zu verweisen sei. Diese Folge ordnet sie eigens in Art. 126 Abs. 2 und zwar für vier Sachverhalte. Unter diesen vier ist auch wieder der Freispruch in lit. d. Aber die beiden Bestimmungen beim Freispruch sind völlig wider­ spruchslos: Es gibt entweder den Freispruch, bei dem der – zivilrechtliche! – Sachverhalt spruchreif ist (Abs. 1 lit. b.), oder bei dem er nicht spruchreif ist (Abs. 2 lit. d.). Tertium non datur. 9. Was das Obergericht überlegt, ist demgegenüber we­ der überzeugend noch im Lichte der eindeutigen, und ein­ deutig aufeinander abgestimmten, widerspruchsfreien Be­ stimmungen der StPO richtig. Nur dann, wenn der Sachverhalt «nicht spruchreif» ist, ist bei Freispruch auf den Zivilweg zu verweisen. Das Obergericht glaubt, das Prob­ lem dadurch zu lösen, dass es sagt, eine Verneinung des ob­ jektiven Tatbestands hindere eine Beurteilung der Adhäsi­ onsklage – was indessen gerade nicht der gesetzlichen Regelung entspricht. Nur dann, wenn die Verneinung eines

(objektiven oder subjektiven) Tatbestandselements zugleich den zivilrechtlichen Anspruch «nicht spruchreif» macht, wäre die Verweisung auf den Zivilweg die zwingende Folge; entgegen dem Obergericht ist aber sehr wohl denkbar, dass eine strafrechtliche Verurteilung unterbleiben muss, zu­ gleich aber der zivilrechtliche Anspruch genügend geklärt ist. Und weil der zivilrechtliche Anspruch eben nicht auf der Grundlage allein von Art. 41 OR bestehen muss, sondern auf irgendwelche anderen Grundlagen beruhen kann, ist es unzutreffend, aus der blossen Verneinung der Straftat auf einen nicht geklärten, nicht spruchreifen Zivilanspruch zwingend zu schliessen. IV. 10. Das Obergericht hätte ganz einfach und ganz an­ ders überlegen müssen: Es hätte nur, aber immerhin fest­ stellen können, dass entgegen der Vorinstanz der Sach­ verhalt doch nicht spruchreif gewesen sei, also der Fall von Art. 126 Abs. 2 lit. d. StPO vorliegt. Und diese «Unklar­ heit» hätte es aus anderen Umständen als dem blossen Frei­ spruch (bzw. der Verneinung der Straftat) ableiten müssen. Wir lesen aber im Entscheid gerade nicht, dass der Sach­ verhalt zivilrechtlich nicht spruchreif gewesen sei, und schon gar nicht erfahren wir, warum bzw. woraus sich diese Unklarheit ergeben hat. Vielmehr lesen wir nur, dass es bei Freispruch keine Entscheidung über die Adhäsionsklage geben dürfe. Damit liegt das Obergericht allerdings falsch, und zwar nicht nur im Lichte der Lehre und des Gesetzes­ wortlauts, sondern auch der einschlägigen Bundesgericht­ spraxis. Dass der Strafrichter allenfalls weniger gründlich als der ordentliche Zivilrichter einen zivilrechtlichen An­ spruch prüft, ist zwar denkbar, aber weder zwingend noch gar die Regel. Und hätte der Gesetzgeber kein Vertrauen in die zivilrechtlichen Kompetenzen der Strafgerichte ge­ habt, hätte er den Adhäsionsprozess entweder ganz abge­ schafft oder seinen Anwendungsbereich (eng) begrenzt. Genau das hat er nicht getan, und der Versuch, eine solche Eingrenzung aus der StPO abzuleiten, ist dem Obergericht jedenfalls nicht in überzeugender Weise gelungen. Die Sub­ sumptionsund Auslegungsleistung besteht entgegen dem Obergericht nur darin, dass man feststellt, ob der zivil­ rechtlich relevante Sachverhalt geklärt oder eben «spruch­ reif» ist. Dann aber muss der Strafrichter als Zivilrichter auch materiell entscheiden.

Dr. Matthias Schwaibold

forum poenale 6/2016

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