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AUFSÄTZE 355
3.
Die Verwertung nachrichtendienstlicher Informationen im Strafprozess
den Tatverdacht erhoben wurden, von einem absoluten Ver wertungsverbot belegt sind? 71 Oder ist der Tatverdacht al lenfalls nur als Ordnungsvorschrift zu werten, mit der Konsequenz, dass dessen Fehlen keinen Einfluss auf die Verwertungsfrage hätte? Auszugehen ist vom Tatverdacht als relative Gültigkeits- vorschrift. 72 Demnach ist nicht jeder verdachtslos und so mit rechtswidrig erlangte Beweis unverwertbar. «Massge bend sind die Schwere des Delikts und die Frage, ob das Beweismittel an sich zulässig und auch auf gesetzmässigem Weg zu erlangen gewesen wäre. Es bedarf einer Güterab wägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahr heitsfindung und dem privaten Interesse der angeklagten Person, dass der fragliche Beweis unterbleibt.» 73 Ob ein nachrichtendienstlich erhobener Beweis strafpro zessual verwertbar ist, hängt erstens davon ab, ob der Nach richtendienst die Information rechtmässig beschafft hat. 74 Die Weitergabe von Informationen nach Art. 59 NDG ist nämlich nur zulässig, wenn diese «den rechtlichen Vorga ben nach diesem Gesetz» genügen. Aber wie erfolgt eine solche Prüfung? Die Informationen, auf welche sich der NDB stützt, werden nicht offengelegt, ebenso wenig deren Quellen (Art. 29 Abs. 1 VNDG). Reicht eine Zusicherung des NDBDienstchefs, dass die Informationen auf rechtmäs sige Weise erlangt wurden und dass die darin genannten Quellen mit rechtmässigen Methoden operiert haben? Ja, urteilte das Bundesgericht im Falle der beiden kurdischen Iraker mit der Begründung, bei einem amtlichen Bericht des NDB sei zu vermuten, dass die darin enthaltenen Informa tionen rechtmässig beschafft worden seien. Nur wenn der Bericht denknotwendig auf Informationen beruhe, welche auf illegale Weise beschafft worden seien, fehle die gesetz liche Grundlage. 75 Zweitens muss geprüft werden, ob die Weitergabe der Daten rechtmässig erfolgt ist. Nach Art. 60 Abs. 3 NDG ist bei genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen 76 zu prüfen, ob die dabei erhobenen Erkenntnisse Anhalts punkte für eine Straftat enthalten, zu deren Verfolgung die Strafverfolgungsbehörden eine vergleichbare strafprozessu- ale Massnahme anordnen dürften. Dabei muss notwendi gerweise auf das Erfordernis des dringenden Tatverdachts verzichtet werden. Damit eine Verwertung im Strafprozess zulässig ist, muss nach Art. 141 Abs. 2 StPO geprüft wer 71 Diese Meinung vertritt u.a. Vetterli (Fn. 26), 455 f.; weitere Befür worter finden sich bei Ackermann/Vogler (Fn. 25), 179. 72 Ackermann/Vogler (Fn. 25), 181, welche sich dabei auf Art. 141 Abs. 2 StPO beziehen. 73 BGE 137 I 218, 223 f.; a.M. Vetterli (Fn. 26), 462 ff. 74 Ackermann/Vogler (Fn. 25), 182. 75 BGer, Urteil v. 27.1.2016, 6B_57/2015 (und 6B_81/2015). 76 Zum Begriff siehe Art. 26 NDG; die Voraussetzungen bei genehmi gungsfreien Beschaffungsmassnahmen sind weniger streng, siehe Art. 60 Abs. 2 NDG.
Die Verwertung von nachrichtendienstlich erhobenen Er kenntnissen in einem Strafverfahren wirft rechtsstaatliche Fragen auf. Reichen die gesetzlichen Vorgaben in den Er lassen des Staatsschutzes, um die strafprozessuale Verwer tung unbedenklich zu machen? Zu beachten ist, dass gemäss Ackermann/Vogler zwei Grundrechtseingriffe stattfinden: einer durch die Beschaf fung nachrichtendienstlicher Informationen, ein zweiter durch die nachfolgende Weitergabe. Da der Grundrechts eingriff nicht mehr nur der Erkennung von Bedrohungsla gen dient, sondern nun auch zum Zwecke der Strafverfol gung erfolgt, müssen beide Grundrechtseingriffe geprüft werden. Die nachrichtendienstliche Gesetzgebung 66 führt nur die frühzeitige Feststellung und Verhinderung von Be drohungen als Zweck auf, nicht aber die Strafverfolgung. 67 Nach den genannten Autoren hilft der Beizug von Art. 17 BWIS bzw. Art. 60 NDG, welche die Weitergabe von Per sonendaten an die Strafverfolgungsbehörden erlauben, nicht weiter, weil diese Bestimmungen nur die Weitergabe der Daten regeln, nicht aber deren Verwertung. Art. 60 Abs. 3 NDG ist offenbar den strafprozessualen Regeln über Zufallsfunde nachempfunden. 68 Doch ist dieser Verweis vorliegend nicht dienlich, weil im nachrichtendienstlichen Kontext das Erfordernis, dass die ursprüngliche Zwangs massnahme gestützt auf einen Tatverdacht angeordnet wurde, eben gerade fehlt. Entscheidend ist, wie der Tatverdacht zu qualifizieren ist. An dieser Stelle muss in gebotener Kürze auf das Be weisverwertungsregulativ der StPO gemäss Art. 141 StPO eingegangen werden: Dabei wird unterschieden zwischen absoluten Gültigkeitsvorschriften, relativen Gültigkeits- vorschriften und Ordnungsvorschriften. Nach Art. 140 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO sind Beweise, die auf verbote nen Beweiserhebungsmethoden beruhen, absolut unver wertbar. Dasselbe gilt für Beweise, die von der StPO selber als unverwertbar bezeichnet werden. 69 Bei Beweisen, die in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvor schriften erhoben wurden, wo es um die Verletzung weni ger grundlegender Vorschriften geht, ist eine Verwertung ausnahmsweise zulässig bei Vorliegen schwerer Straftaten. Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (Art. 141 Abs. 2 StPO). Beweise, bei deren Erhebung bloss Ordnungs vorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar (Art. 141 Abs. 3 StPO). 70 Stellt der Tatverdacht eine absolute Gültigkeitsvorschrift dar mit dem Ergebnis, dass Beweise, die ohne vorbestehen
66 Gemeint sind damit BWIS sowie NDG. 67 Ackermann/Vogler (Fn. 25), 175. 68 Ackermann/Vogler (Fn. 25), 176 f. 69 So etwa Art. 158 Abs. 2 StPO. 70 Zum Ganzen statt vieler: Vetterli (Fn. 26), 462.
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